Das Echo der Zeit: Die Musik und das Leben im Zeitalter der Weltkriege

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Eichler, Time's Echo

Diese Rezension handelt sich um die englischsprachige Fassung des Buches, das auch auf Deutsch unter dem Titel "Das Echo der Zeit" erschien.

Wenn man dieses Buch beim Stöbern trifft, fragt man sich möglicherweise, ob die Welt noch ein Buch über die Musik im Zusammenhang mit dem Holocaust benötigt. In der ersten Linie ist es kein Holocaust-Buch, auch wenn Lager und Einsatzgruppen vorkommen, mehr eine Abhandlung im Bereich der Musikkritik, aber auch nicht nur das: ein Unikat. Da es nicht zu kategorisieren ist, bereitet dem Rezensenten Schwierigkeiten. So viel steht im Waschzettel, und in diesem Fall sind sowohl der Waschzettel wie auch die Empfehlungsschreiben auf dem Umschlag und auf der Dr. Eichlers Webseite nicht übertrieben.

Über diesen Lobgesang hinaus ist das Buch schwierig zu bewerten. Es handelt such darum, wie man die Musik am bestens anhört in den Fällen, wo der geschichtliche Hintergrund nicht nur als Kontextualisierung dient, sondern dem Verständnis des Komponisten Absichten unentbehrlich ist, kurzum wo die Musik, deren Bedeutung aus einem Gedächtnis entsteht, als Denkmal gedacht wurde, und zwar als d a s Denkmal eines Ereignis par excellence. Ich gestehe es ein, dass als ich dieses Buch aufzuklären versuche, verwirren sich meine Gedanken und somit verwickeln sich meine Bemerkungen. Indem der Schriftsteller Dr. Eichler den Leser dazu einlädt, bestimmte Musikstücke, die hauptsächlich von  R. Strauss, Schoenberg, Britten und Shoshtakovitch sind, als musikalische Gedenkstätte zu betrachten, soll das Musikhören zum konkreten Akt geschichtliche Rezeption werden.

Diese Denkweise über die Musik wirft mehrere Fragen auf, als sie beantwortet. Ob diese Weise von Hören überhaupt musikalisch funktioniert?  In einem passenden Kontext, schon. Z.B. wenn man Schoenbergs A Survivor from Warsaw als Denkmal eines Ereignisses, wovon wir über keine persönliche Erfahrung verfügen, anhört, kommt einem der Stuck als sinnvoll, sogar als eindringlich vor. Ob dieser Stuck bedeutungsvoll dem Zuhörer bleibt, der dessen historischen Hintergrund nicht in Betracht nimmt? Wahrscheinlich nicht. Noch eine Frage: ob diese Weise von Musikzuhören sich allein der post-romantischen bzw. modernistischen Musik bezieht? Oder ob sie auch bei Mozart, z. B., relevant sei? Man könnte des Buches die Schlüsse ziehen, dass diese Weise von Anhören nur d e n Musikstücken relevant ist, die als musikalische Denkmäler komponiert wurden.

Bei dieser letzten Frage wäre Mozarts Requiem ein möglicher Musterfall, damit dem Buch zufolge Brittens War Requiem dessen zugunsten einen Vergleich aushalten kann. Bekannt ist, dass Mozart nicht überlebt hat, die Lachrymosa zu vollenden. Ich habe einmal ein Konzert gehört, wobei die Musikanten nach den ersten von Mozart geschriebenen acht Takte der Lachrymosa plötzlich schwiegen, um Mozarts Tod zu gedenken. Dramatisch wirkte es doch, aber ich will nicht diese Geste bei jeder Aufführung erleben. Wiederum bin ich einmal bei einer Vorstellung von Brittens Peter Grimes im Royal Opera Haus dagewesen, wonach ich mir dachte, was für eine Verschwendung von prächtiger Musik! Wenn ich deprimiert werden will, kaufe ich mir eine Zeitung und keine Opernkarte. Ich bin darin nicht allein: dem wienerischen Publikum hat merklich selbst R. Strauss mit seinem leichtfertigen Librettist Stefan Zweig ein spießbürgerliches Vergnügung bereitet.

Weiter, über eine Ästhetik von Vergnügung nehme ich Zwiegs "Die Welt von Gestern" in Betracht, worin er auch tragische Ereignisse erzählte, die er künstlerisch umwandelt, sodass sie sich gut und genussvoll lesen. Dadurch stellt er eine andere Ästhetik dar, die den Leser nicht zermürbt. Wenn ich eine Aufführung Brittens War Requiem besuche, bin ich der erwarteten Trauer voreingestellt. Ich möchte nicht wieder durch die Depression von einer Vorstellung von Peter Grimes oder Lady MacBeth of Mtsensk (die ich auch im Royal Opera House gesehen habe) durchleiden. Vielleicht ist einem Profirezensenten eine andere Einstellung erforderlich, sogar gezwungen!

Auch hier relevant ist, dass Dr. Eichler schreibt viel über wichtige historische Aufzeichnungen. Da er spezifischen zeitorientierten historischen Aufführungen viel Gewicht gibt, ist das unweigerlich. Aber dadurch ist es problematisch, aus dieser Abhandlung eine weitere und allgemeinere Ästhetik zu entwickeln. Diese Aufführungen waren in seiner Zeiten bedeutsam, teilweise indem sie vor einem betroffenen Publikum gespielt wurden. Und so beim Lesen dieses Buch, man denkt an live Musik, die für mich allein authentisch ist, aber man liest unentbehrlich über Registrierungen. Die Uraufführungen, wie jetzt ein Besuch an der Oper wäre, waren hochwertige Ereignisse, wie eine elektronische Wiedergabe nie werden kann.

Das Rätsel, wie weit ein Kunstwerk ein Genuss bereiten soll, ist alt. Bei den Zweigschen Erinnerungen wittert man fast die Gesinnung von Vergils trojanischen Flüchtlingen, haec olim meminisse iuvabit ('zukünftig wird es uns erfreuen, uns diese schrecklichen Dinge zu entsinnen'). Dieses Rätsel hat die Meinungen in literarischen Kreisen gespaltet, und hat auch eine scharfe Auswirkung in plastischen Künst in Wien gezeigt: Die Wiener Werkstätte haben Vergnügungen den, die sie leisten konnten, geleistet, während das Modernismus wohingegen eine ehrliche, sogar spartanische Ästhetik hervorgezogen hat, deren das Looshaus am Michaelerplatz ein ikonisches Beispiel war. Diese gegenüber abstoßenden magnetischen Pole des Modernismus entsprechen im musikalischen Bereich einerseits Schoenberg, anderseits R. Strauss.

Wenn das alles zu vage klingt, muss ich wieder zugeben, dass dieses interessante Buch mich mit Zweifelhaftigkeit und unbeantworteten Fragen beschäftigt. Das ist gewiss dem Schriftsteller ein Kompliment. Da er so roh, direkt und original solche immer rätselhaften Fragen von damals aufwirft, würde ich Dr. Eichlers Buch als eine Glut der Lohe Wiens ehemaliger Zeitwende auszeichnen.

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