(Anmerkung zu einem Gedicht - abgelegt unter Buchbesprechungen.)
Depressiv, drogen- und alkoholabhängig, in seine jüngere Schwester verliebt, so starb der große Lyriker Georg Trakl mit 27 Jahren an einer Überdosis Kokain, nachdem er eine Schlacht im Ersten Weltkrieg miterlebt hatte. 1887 geboren, gehörte er einer späteren Generation als Baudelaire an, und kann mit dem Letzteren einigermaßen verglichen werden. In seinen frühen Gedichten imitiert er ihn. Wie der französische Dichter baut er auch eine Reihe von Bildern, Klängen, Gedanken und Eindrücken auf, eine Technik, die als Symbolismus bezeichnet wird. In seinen späteren Gedichten hingegen lässt Trakl jedoch den Reim und das Metrum weg, die seine Baudelaire-Imitationen kennzeichneten.
Einige seiner Stücke sind überhaupt nicht in Versen geschrieben und werden daher als „Prosa-Gedichte“ bezeichnet. Wenn ein Gedicht in Versen unterteilt ist, scheint die Unterteilung oft eher aufgrund Bildern als auf der Grundlage des Wohlklangs zu erfolgen. In seinem gesamten Werk befasst er sich mit Lieblingsthemen - vorwiegend dem Tod, dem Herbst, der Nacht, allen Trüben und Traurigen. Ausßerdam beharrt er auf Lieblingswörter: „steinern“, „ nächtlich“, „still“ und „leise “. Werke dieser Art sind von Depressivität durchdrungen und können beim Leser Depressionen hervorrufen. Deshabl lässt sich die Schönheit einiger Gedichte lässt sich am besten in kleinen Dosen genießen.
Zum Beispiel das traklische Gedicht „In Venedig“ stammt aus dem Gedichtzyklus Sebastian im Traum. Warum Sebastian? Trakl wurde in Salzburg geboren, in der Nähe der Sebastianskirche, die zufällig auch die Heimatkirche von Mozarts Familie war. Der heilige Sebastian wurde an einen Pfahl gebunden und mit Pfeilen beschossen. Das Bild des angebundenen Sebastians mit den Pfeilen, die aus ihm herausragen, sowohl in der Kirche als auch über der Tür, muss den jungen Mann, der unter seelischen Qualen litt, sehr beeindruckt haben. Man könnte meinen, Trakl war von seiner Sucht ebenso gefangen und ihr hilflos ausgeliefert wie Sebastian seiner Todesstrafe.
Sebastian im Traum ist in Unterabschnitte gegliedert: Und zwar in fünf in der ersten veröffentlichten Ausgabe, die 1915 postum erschien). „In Venedig“ ist das erste Gedicht des Abschnitts Gesgang des Abgeschiedenen, dessen Title an einen Abschiedsbrief zu denken lässt.
Ob die Überdosis, die Trakl, ein gelernter Apotheker, einnahm, absichtlich war, ist nicht bekannt, wohl aber, dass er selbstmordgefährdet war. Im August 1913 reist Trakl mit einigen Größen der Wiener Moderne nach Venedig, denen er von seinem Mäzen Ludwig von Ficker vorgestellt wurde. Dazu gehörten der schmuckfeindliche Architekt Adolf Loos, der Journalist Karl Kraus und der Kaffeehaushocker und Schriftsteller Peter Altenberg. Bald nach dem Urlaub veröffentlichte Altenberg, ein Schürzenjäger, ein französisches Stück mit dem Titel „Le Lido“, in dem er behauptete, er könne das Meer nicht genießen, weil er seine Augen nicht von einer Frau lassen könne:
As-tu vu le sable brun de la mer?!
Non, je n'ai rien vu - - -
As-tu vu l'eau sans fins et les écumes blanches?!
Non, je n'ai rien vu - - - j'ai vu Maria!
As-tu entendu le bruit de la mer?!
Non, je n'ai rien entendu - - -
j'ai entendu la voix de Maria!
n'as-tu pas senti venir la santé du corps, par le soleil?!
Non, j'ai senti venir la maladie de l'âme, par Maria!
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Erfülle Bitte um ein Autogramm, an Herrn Platon de Naxel, Venise:
"Il y a un mystère, qui nous fait vivre - - la femme!
Il y a une réalité, qui nous fait mourir - - la femme!"
(Text entnommen aus Peter Altenberg: Auswahl aus seinen Büchern, von Karl Kraus, Wien 1932, Nachdruck Zürich 1963, S. 294; Text auch online zugänglich.).
Deutet der Gebrauch des Französischen darauf hin, dass Maria nicht deutschsprachig war? Das ist die Welt des Todes in Venedig, die schicken Hotels am Strand, Kulisse für eine Urlaubsverliebtheit, die zu schmerzhaft ist, um sie zu ertragen.
Es gibt ein Foto von Trakl am Strand von Lido (und ein Foto von Altenberg und Kraus). Sein Gedicht macht deutlich, dass Trakl den Urlaub ebenso wenig genoss wie der vernarrte Altenberg. Trakls eigener Schmerz war schon groß genug, sogar ohne einen neuen Schwarm, und es gibt Anzeichen dafür, dass seine Liebe zu seiner eigenen Schwester ihm ein schlechtes Gewissen bereitete. Ob sie das „Kind“ in dem Venedig-Gedicht ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich dachte er an den Lido, wo er sich aufhielt*: Wir können uns vorstellen, wie er schlaflos in seinem Zimmer im Grand Hotel des Bains lag (dem Hotel, das auch von zahlreichen Berühmtheiten besucht wurde, wie Thomas Mann, Arthur Schnitzler, Strawinsky usw.), während die Kerzen im Zimmer flackerten und das Meer vor seinem Fenster totenstill lag.
In Venedig
Stille in nächtigem Zimmer.
Silbern flackert der Leuchter
Vor dem singenden Odem
Des Einsamen;
Zaubrisches Rosengewölk.
Schwärzlicher Fliegenschwarm
Verdunkelt den steinernen Raum,
Und es starrt von der Qual
Des goldenen Tags das Haupt
Des Heimatlosen.
Reglos nachtet das Meer.
Stern und schwärzliche Fahrt
Entschwand am Kanal.
Kind, dein kränkliches Lächeln
Folgte mir leise im Schlaf.
*In Georg Trakl. Sämtliche Werke und Briefwechsel. Innsbrucker Ausgabe, Bd. V. S. 483, findet sich ein Brief, in dem Trakl sagt, „Samstag soll ich mit Loos nach Venedig fahren, was mir einigermaßen eine unerklärliche Angst macht.“ Die Notizen besagen, dass er am 16. August 1913 dorthin gereist zu sein scheint und dass er und die von Fickers in einem Hotel in der Stadt wohnten, die Wiener Gesellschaft am Lido. Sie geben keine Quelle an, und ich konnte eine weder in den Briefen von Trakl noch von Ficker finden. Das Foto zeigt, dass er den Lido besuchte, und ich wiederhole die Behauptung, dass er im Hotel des Bains am Lido wohnte, aber das gilt nur als eine Vermutung.